Reichsflaggen auf der Treppe des Reichstages – (k)ein Thema für Bad Waldsee?

2020-09-03_PM Reichsflaggen auf der Treppe des Reichstages (k) ein Thema für Bad Waldsee

Pressemitteilung

Reichsflaggen auf der Treppe des Reichstages – (k)ein Thema für Bad Waldsee?

Die Bilder vom letzten Sonntag, als mehrere Hundert Menschen versuchten, in das Gebäude des Bundestages einzudringen und dabei Reichsflaggen mit sich führten, haben unter Demokratinnen und Demokraten in der ganzen Republik Abscheu und Bestürzung ausgelöst, auch in Bad Waldsee. Es gibt sicher gute Gründe, mit der derzeitigen politischen Situation unzufrieden zu sein. Aber nichts davon rechtfertigt, unsere demokratische Ordnung, basierend auf dem Grundgesetz, grundsätzlich und potenziell gewaltbereit in Frage zu stellen und ihre Institutionen bzw. deren Vertreterinnen und Vertreter massiv zu beleidigen.

In der schwäbischen Provinz mögen einige Menschen bis vor kurzem noch gedacht haben, diese Vorgänge seien weit weg und beträfen uns hier im Süden nicht so richtig. Aber spätestens mit der  Ankündigung von Querdenken 711, die nächste Anti-Corona-Demo in Konstanz zu organisieren, hat die Frage auch eine regionale Brisanz gewonnen. Denn diese Demonstration war die Plattform, die die Rechtsnationalen genutzt haben, um sich eine Bühne für ihre demokratiefeindlichen Umtriebe zu schaffen und Aufmerksamkeit für ihre Provokationen zu generieren. Und das kann auch bei der nächsten Demo wieder ihr Ziel sein.

Die Geschichte hat gezeigt, dass Demokratien in der Vergangenheit nicht nur durch ihre Feinde bedroht wurden, sondern auch daran zugrunde gingen, dass ihre Verteidigerinnen und Verteidiger sich ins Private zurückgezogen haben und Politik einigen Wenigen überließen. Herfried Münkler, emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Humboldt-Universität, schreibt dazu: „Die Krise der Demokratie resultiert immer aus einer doppelten Bedrohung: dem Vorstoß derer, die alle Macht an sich ziehen wollen, und dem Rückzug jener, denen politisches Engagement auf Dauer eine Last ist, derer sie sich entledigen wollen.“

Daraus müssen wir Lehren ziehen, auch in der schwäbischen Provinz und obwohl in Bad Waldsee einiges an Vielfalt, Toleranz und Gemeinsinn bereits gelebte Realität ist: bei GLOBAL e.V. setzen sich Engagierte zum Teil seit Jahrzehnten für die Menschenrechte und das Recht auf Asyl ein; auf der SPD-Liste für die Kommunalwahl 2019 konnte ein trans Mann offen kandidieren und bekam 1.047 Stimmen; das Kino Seenema bereichert die Kulturszene dank der Beiträge vieler Genossinnen und Genossen. Drei Beispiele von vielen anderen die zeigen, dass auch in einer Stadt wie Bad Waldsee die Demokratie durch das Mitmachen der Einzelnen lebt und Vielfalt möglich ist. Andere Beispiele hingegen, wie ein versuchter Angriff auf die damalige Flüchtlingsunterkunft in Reute 2015, überdurchschnittliche Europawahlergebnisse für die AFD in einzelnen Wahlbezirken oder Leserbriefkommentare zur Debatte um Bad Waldsee als sicherem Hafen für aus Seenot gerettete Flüchtlinge zeigen, dass wir nicht auf einer „Insel der Seligen“ leben. Auch bei uns gibt es Menschen, die auf Abgrenzung setzen und eine ethnisch homogene, abgeschottete und damit vermeintlich sichere Gemeinschaft wollen.

Wir Grünen und mit uns viele andere Demokratinnen und Demokraten setzen auf die offene, vielfältige und tolerante Gesellschaft, in der die Freiheit der einen dort endet, wo die der anderen anfängt und im demokratischen Prozess um Entscheidungen gerungen wird. Das ist anstrengend und dauert oft viel zu lange, aber die Verteidigung unseres Grundgesetzes sollte und muss uns diese Mühe wert sein: im „Großen“ im Bund und im „Kleinen“ in Bad Waldsee.

SZ_Grüne Toleranz_2020-09-05_Schwaebische_Zeitung_Bad_Waldsee-Aulendorf_S.13

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